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wid Groß-Gerau - Das effektivste Instrument gegen steigende Mieten ist eine massive Ausweitung des Wohnungsbaus. Hans / pixabay.com

Enteignung von Wohnungsunternehmen ökonomisch nachteilig

Berliner Bürger, die sich vor knapp zwei Jahren beim Volksentscheid für Enteignungen von Wohnungsunternehmen ausgesprochen haben, können Hoffnung schöpfen. Denn aus dem Abschlussbericht der Expertenkommission wird wohl hervorgehen, dass solche Vergesellschaftungen juristisch zulässig sind. Doch gibt es ein Problem.


Berliner Bürger, die sich vor knapp zwei Jahren beim Volksentscheid für Enteignungen von Wohnungsunternehmen ausgesprochen haben, können Hoffnung schöpfen. Denn aus dem Abschlussbericht der Expertenkommission wird wohl hervorgehen, dass solche Vergesellschaftungen juristisch zulässig sind. Doch gibt es ein Problem: Enteignungen wären ökonomisch und sozial kontraproduktiv.

So sieht es jedenfall Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Enteignungen würden zu höheren Mieten, weniger Wohnraum, noch mehr Verdrängung und einer schlechteren Daseinsvorsorge führen", sagt der Professor für Volkswirtschaftslehre. Nicht viel besser sei die Bilanz, wenn Unternehmen im Bereich der Grundversorgung vergesellschaftet würden, etwa bei Energie und Wasser.

Die gute Nachricht: "Die Politik ist nicht machtlos", räumt Fratzscher ein. Sie habe Instrumente an der Hand, um eine sozial ausgewogene und gleichzeitig wirtschaftlich kluge Politik zu machen. "Wohnen ist eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit", betont der Ökonom. Mehr als 80 Prozent der Berliner wohnten zur Miete. Für die große Mehrheit seien die Mieten in den vergangenen zehn Jahren viel stärker gestiegen als ihre Einkommen, so dass viele ihren Lebensstandard einschränken mussten. Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine habe dieses Problem nochmals verschärft.

"Enteignungen lösen dieses Problem jedoch nicht, sondern sie machen es lediglich schlimmer", meint Fratzscher. Enteignungen würden zu weniger Neubau und damit zu einer noch größeren Wohnungsknappheit führen. Dies bedeute noch stärker steigende Mieten, eine Verdrängung von Menschen mit wenig Einkommen und somit eine noch stärkere soziale Polarisierung.

"Vielleicht könnte die Stadt Berlin 100.000 Wohnungen vergesellschaften." Die glücklichen 100.000 bis 200.000 Berliner, die diese Wohnungen dann zu einer subventionierten Miete erhielten, seien die Gewinner. "Alle anderen 3,8 Millionen Menschen der Stadt sind jedoch die Verlierer, die von den höheren Mieten und einer noch größeren Knappheit betroffen sind."

Das effektivste Instrument sei eine massive Ausweitung des Wohnungsbaus - mit harten Bedingungen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern und Verdrängung und Gentrifizierung zu verhindern. Dies sei in der Vergangenheit zu häufig nicht nur an den Fehlern von Stadtplanung und Politik gescheitert, sondern auch an den Bürgern selbst.

"Viele sprechen sich vehement für niedrigere Mieten aus, jedoch auch gegen Neubau und innerstädtische Verdichtung, wenn es ihren eigenen Kiez betrifft", sagt Fratzscher. Auch dieser Widerspruch müsse aufgelöst werden. Es sei Aufgabe der Politik, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, wie sie den wichtigen sozialen Konflikt des Wohnens in der Stadt entschärfen könne. "Alle werden dafür ein Opfer bringen müssen." Enteignungen seien jedoch keine Lösung.

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