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wid Groß-Gerau - Während bei den Reallöhnen Ebbe herrscht, bekommen die Unternehmensgewinne Oberwasser. Filmbetrachter / pixabay.com

Reallöhne sinken in der EU zugunsten der Gewinne

Die Reallöhne brechen europaweit ein. Ökonomen sehen hohe Unternehmensgewinne zunehmend als Treiber der Inflation.


Die Reallöhne brechen europaweit ein. Ökonomen sehen hohe Unternehmensgewinne zunehmend als Treiber der Inflation. Zumindest kommt der Europäische Tarifbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigten in der Europäischen Union (EU) im vergangenen Jahr erheblich an Kaufkraft eingebüßt haben.

Dem WSI-Bericht zufolge sind in 26 von 27 EU-Ländern die Reallöhne im Jahr 2022 gesunken, im EU-Mittel betrug der Rückgang 4,0 Prozent. Besonders deutliche Verluste gab es in Estland ( 9,3 Prozent), Griechenland ( 8,2 Prozent) und Tschechien ( 8,1 Prozent). Deutschland lag mit einem Rückgang von 4,1 Prozent nahe am Durchschnitt der EU. Einzige Ausnahme ist das Niedriglohnland Bulgarien (+4,7 Prozent).

Ursache des bisher beispiellosen Einbruchs der Reallöhne sind die hohen Inflationsraten. Während diese zunächst von höheren Importpreisen für fossile Energieträger und Nahrungsmittel getrieben wurden, tragen inzwischen steigende Unternehmensgewinne erheblich zum Preisauftrieb bei, teilt das WSI mit. EU-weit stiegen demnach die sogenannten "Kapitalstückkosten", umgangssprachlich auch als "Gewinninflation" bezeichnet, im vergangenen Jahr um 7,0 Prozent und damit deutlich schneller als die Lohnstückkosten (3,3 Prozent).

"Die höheren Gewinne gehen darauf zurück, dass Unternehmen ihre Preise stärker angehoben haben, als dies aufgrund gestiegener Kosten eigentlich notwendig gewesen wäre", betonen die Analysten. Auch in Deutschland würden steigende Gewinnmargen derzeit die Inflations-Dynamik verschärfen.

Aufgrund des Ungleichgewichts zwischen Lohn- und Gewinnentwicklung sei der Anteil der Löhne am Volkseinkommen spürbar zurückgegangen: EU-weit und auch in Deutschland sank die Lohnquote zwischen 2020 und Ende 2022 um rund zwei Prozentpunkte. Die WSI-Forscher Thilo Janssen und Dr. Malte Lübker bilanzieren deshalb, dass es "mitten in der Krise zu einer Umverteilung zulasten der Löhne und zugunsten der Kapitaleinkommen gekommen ist". Während die Gewinne ein wichtiger Faktor bei der hartnäckigen Teuerung seien, lasse sich der Preisauftrieb nicht auf die Tarifpolitik zurückführen.

Nach Berechnungen der Europäischen Zentralbank (EZB) stiegen die Tariflöhne im Jahr 2022 um 2,8 Prozent und bewegten sich damit unterhalb der Schwelle von drei Prozent, die als stabilitätskonform gilt. Auch für Deutschland, wo die Tarifverdienste nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im 1. Quartal 2023 um 2,7 Prozent höher als im Vorjahresquartal lagen, lässt sich kein Inflationsimpuls der Tarifpolitik ausmachen, berichten Janssen und Lübker.

Kehrseite der relativ moderaten Zuwächse sei, dass die Tariflohn-steigerungen im Jahr 2022 in allen betrachteten Ländern unter der Inflationsrate lagen und deshalb - wie bei den Löhnen insgesamt - fast überall mit Kaufkrafteinbußen verbunden waren. Auch für das laufende Jahr rechnet die EU-Kommission mit weiteren Reallohnverlusten: Sie geht davon aus, dass die realen Effektivlöhne EU-weit um 0,7 Prozent sinken werden. Auch für Deutschland (-1,3 Prozent) wird für 2023 ein erneuter Rückgang erwartet. Im Gegensatz dazu dürften sich die Unternehmensgewinne weiterhin positiv entwickeln.

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