img
wid Groß-Gerau - Viele Reiche rechnen sich fälschlicherweise zur Mittelschicht. Freiheitsjunkie / pixabay.com

Gefühlte Zugehörigkeit zur Mittelschicht

Viele Arme zählen sich selbst fälschlicherweise zur Mittelschicht - viele Reiche aber ebenso, sagt Professor Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.


Viele Arme zählen sich selbst fälschlicherweise zur Mittelschicht - viele Reiche aber ebenso, sagt Professor Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Der Makroökonom bezieht sich hierbei auf das Exzellenzcluster "The Politics of Inequality" der Universität Konstanz. Es untersucht seit einiger Zeit die Ursachen und Implikationen von Ungleichheit in Deutschland.

Bei der repräsentativen Umfrage wurden Menschen gebeten, sich in Bezug auf ihr eigenes Einkommen und ihr Vermögen im Verhältnis anderen Menschen einzuordnen. Sie wurden gefragt, ob sie sich selbst eher als arm sehen, in der Mitte, oder ob sie sich zu den Spitzenverdienern beziehungsweise den Vermögenden zählen.

"Das Ergebnis ist in dreierlei Hinsicht erstaunlich", sagt Fratzscher: "Zum einen ordnen sich 80 Prozent der Menschen selbst der Mittelschicht zu." Eine Fehleinschätzung gebe es in allen Gruppen: "Auch diejenigen mit den geringsten Einkommen stufen sich häufig falsch, nämlich deutlich höher, ein." Erstaunlich sei vor allem, dass sich Menschen mit den höchsten Einkommen besonders oft falsch zuordnen würden. Die Abweichung zur tatsächlichen Einkommensgruppe sei bei ihnen am stärksten ausgeprägt.

Von den 20 Prozent der Menschen mit den höchsten Einkommen würde sich weniger als jeder und jede Siebte der eigenen Gruppe zuordnen. Sechs von sieben sortierten sich dagegen deutlich niedriger ein, meist als Teil der Mittelschicht. Den Wunsch, vielleicht die Illusion, zur Mittelschicht zu gehören, existiere also unten und oben.

"Das zweite zentrale Resultat ist, dass die Selbsteinschätzung in Bezug auf Einkommen und Vermögen nahezu deckungsgleich sind." Von zahlreichen Studien des DIW wisse man allerdings, dass Vermögen deutlich ungleicher verteilt seien als Einkommen. "Es gibt weit mehr als eine Million Millionärinnen und Millionäre in Deutschland." Die reichsten ein Prozent der Deutschen besäßen knapp 35 Prozent aller Vermögen. 40 Prozent der Deutschen dagegen hätten praktisch gar kein Vermögen. Trotz dieser erheblichen Ungleichheit würden Menschen eine ähnliche Verteilung von Vermögen und Einkommen wahrnehmen.

Zudem stehe diese verzerrte Selbstwahrnehmung im starken Kontrast zur Wahrnehmung der Ungleichheit in der Gesellschaft. In Bezug auf die gesamte Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Gesellschaft - also, ob relativ viele Menschen geringe, mittlere oder hohe Einkommen oder Vermögen haben - hätten die meisten Deutschen eine erstaunlich gute und akkurate Wahrnehmung der Realität.

"Eine mögliche und plausible Erklärung liegt in der Scham des Reichtums, die in Deutschland vielleicht stärker ausgeprägt ist als anderswo", vermutet Fratzscher. Unterdessen gehöre Deutschland gehört zu den Sparweltmeistern und ungewöhnlich viel Vermögen werde jedes Jahr vererbt - bis zu 400 Milliarden Euro - rund zehn Prozent einer jährlichen Wirtschaftsleistung.

STARTSEITE