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wid Groß-Gerau - Klingt komisch, ist aber so: Eine Volkswirtschaft kann nicht sparen - auch nicht für die Rente. garten-gg / pixabay.com

wid-Analyse: Zukunftsfestigkeit der Rente

Eine abermalige Rentenreform empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die sogenannten 'Wirtschaftsweisen' drängen auf längere Lebensarbeitszeiten und Kapitaldeckung. Doch gehen hierzu die Meinungen deutlich auseinander.


Eine abermalige Rentenreform empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR). Die sogenannten "Wirtschaftsweisen" drängen auf längere Lebensarbeitszeiten und Kapitaldeckung. Doch gehen hierzu die Meinungen deutlich auseinander.

"Die Dynamisierung des Renteneintrittsalters unter Berücksichtigung der ferneren Lebenserwartung beim Renteneintritt setzt an der absehbar steigenden Lebenserwartung als Ursache der Alterung an und hat günstige Effekte für den Beitragssatz, das Sicherungsniveau und die Bundeszuschüsse an die Gesetzliche Rentenversicherung", teilt der Sachverständigenrat mit. Zusammen mit einer Aktien-basierten Altersvorsorge, die transparenter, weiter verbreitet und renditestärker sein sollte als die bisherigen Riester-Renten, könne das Sicherungsniveau auf Dauer deutlich gesteigert und die Armutsgefährdung im Alter vermindert werden.

Ganz einig ist man sich im SVR allerdings nicht. So vertreten die SVR-Mitglieder Veronika Grimm und Achim Truger abweichende Meinungen. Beispielsweise warnt Grimm vor dem mehrheitlich vorgeschlagenen Umverteilungsmechanismus in der gesetzlichen Rentenversicherung, während Truger auf Unsicherheitsfaktoren beim Kapitaldeckungs-Verfahren hinweist.

Die schärfste Kritik kommt allerdings von außen: Der ehemalige Finanzstaatssekretär und UN-Ökonom Heiner Flassbeck kritisiert vor allem das Kapitaldeckungs-Konzept und zitiert aus der von 1952 stammenden Renten-These des Bevölkerungswissenschaftlers Gerhard Mackenroth, nach der aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden müsse und eine Ansammlung von Periode zu Periode, ein "Sparen" im privatwirtschaftlichen Sinne, gar nicht möglich sei. Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren seien also der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden. Volkswirtschaftlich gebe es immer nur ein Umlageverfahren.

Flassbeck ergänzt hierzu: "Gibt ein Sektor weniger von den Einnahmen aus, die er von den übrigen Sektoren empfängt, entsteht bei den übrigen Sektoren in der Summe eine Einnahmelücke (ein Defizit), die dadurch geschlossen wird, dass andere Sektoren eine Ausgabenlücke akzeptieren, also zusätzliche Schulden machen." Für die Volkswirtschaft insgesamt gebe es also niemals eine Sparmöglichkeit, weil sie immer gleichzeitig einen Schuldner brauche, um die Nachfrage zu erzeugen, die notwendig sei, um das gesamtwirtschaftliche Einkommen (das Bruttoinlandsprodukt oder Volkseinkommen) wenigstens aufrechtzuerhalten.

"Offensichtlich ist es so, dass jede Ausgabenkürzung, wo immer in der Volkswirtschaft sie vorgenommen wird, gleichartige negative Auswirkungen auf die Gewinne der Unternehmen hat", sagt Flassbeck. Ob es die privaten Haushalte seien, der Staat, die Unternehmen selbst oder die gleichen Akteure in den Ländern, die mit uns Handel treiben (das Ausland), immer führe eine Kürzung der Ausgaben einer dieser Gruppen bei gleichbleibenden Einnahmen dazu, dass die Gewinne der Unternehmen sinken würden.

Unterdessen plädiert das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für steigende Ausgaben für die Rente. Kritik an Beitragssatzerhöhungen in der Rentenversicherung baue fast immer auf Modellannahmen, nach denen Sozialbeiträge hauptsächlich als Kostenfaktor betrachtet, deren Nachfrage- und Umverteilungseffekte aber übersehen oder unterschätzt würden.

So werde in manchen Modellen weitgehend ignoriert, dass die zusätzlichen Einnahmen der Rentenversicherung nach einer Beitragsanhebung sofort weitergegeben werden und sich dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht. Das Geld, das Rentner erhalten, fließt zurück in den privaten Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum steigert.

In dem Buch "Die Zahlentrickser" (2017), das der Statistiker Gerd Bosbach mit dem Historiker und Politologen Jens Jürgen Korff geschrieben hat, widerlegen die Autoren das Demografie-Argument: "Die Altersstruktur einer Bevölkerung bestimmt nicht zwangsläufig ihr Wohlergehen." Die Autoren erläutern das anhand der Rückschau auf die demografische Entwicklung im 20. Jahrhundert: "Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 1900 bis 2000 um über 30 Jahre; der Anteil der unter 20-Jährigen halbierte sich von 44 auf 21 Prozent. Und der Anteil von 65 Plus hat sich mehr als verdreifacht - von 4,9 auf 16,7 Prozent." Die demografischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts wären weit größer gewesen als das, was für das 21. Jahrhundert zu erwarten sei.

Fazit: Eine Rentenreform ist notwendig, bedeutet aber einen großen politischen und wirtschaftlichen Kraftakt. Zentral ist die Forderung, die Gesetzliche Rentenversicherung stärker an den wirtschaftlichen Erfolgen zu beteiligen. Ob eine längere Arbeitszeit dafür notwendig ist, bleibt unter Experten ebenso umstritten wie die Kapitaldeckungs-Theorie. Faktoren wie soziale Ungleichheit, Wirtschaftswachstum und Produktivität bleiben die Zankäpfel in den Renten-Diskussionen. Klar bleibt aber, dass zur Sicherung des Rentenniveaus hohe staatliche Investitionen nötig sein werden.

Lars Wallerang / wid

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