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mp Groß-Gerau - Bei fast jeder 25. ambulanten Verordnung in der GKV finden Antibiotika ihren Weg zum Patienten. Jerzy Gorecki / pixabay.com

Antibiotikaverordnungen: Tendenz bleibt sinkend

Nachdem die Zahl der Verordnungen von Antibiotika in den Jahren 2020 und 2021 rückläufig war, ist sie im Jahr 2022 wieder angestiegen. Sie lag aber mit knapp 31 Millionen Verordnungen etwa zehn Prozent unter dem Wert von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie. Darauf weist das Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hin.


Nachdem die Zahl der Verordnungen von Antibiotika in den Jahren 2020 und 2021 rückläufig war, ist sie im Jahr 2022 wieder angestiegen. Sie lag aber mit knapp 31 Millionen Verordnungen etwa zehn Prozent unter dem Wert von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie. Darauf weist das Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hin.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 31 Millionen Verordnungen von Antibiotika im Wert von 733 Millionen Euro zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Das entspricht fast jeder 25. ambulanten Verordnung in der GKV.
Der Anteil der Reserveantibiotika lag mit 42 Prozent weiter auf ähnlichem Niveau wie in den "Corona-Jahren" 2020 und 2021 und etwa 5 Prozent unter dem Verordnungsanteil von 2019.

Reserveantibiotika seien Medikamente, die Mittel der zweiten Wahl darstellten und für deren Einsatz eine strenge Indikation vorgesehen sei, sagt Helmut Schröder, Geschäftsführer des WIdO. "Je sorgloser sie verordnet werden, desto resistenter werden Bakterien gegen Antibiotika", warnt Schröder.

Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärkt das Problem der Resistenzbildung ebenfalls, da die Wirkstoffe zum Beispiel über den Konsum von Fleisch oder über das Grundwasser auch vom Menschen aufgenommen werden.

Zur medizinischen Versorgung der Patienten in Deutschland sind im Jahr 2022 insgesamt rund 272 Tonnen Antibiotika zum Einsatz gekommen, während laut einer Auswertung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit rund 540 Tonnen an Tierärzte abgegeben wurden.

Auch die in den letzten Jahren häufig berichteten Lieferengpässe bei ausgewählten Antibiotika könnten die angespannte Situation weiter verschärfen. Vor allem von den Engpässen betroffen waren Standardantibiotika wie Amoxicillin, Phenoxymethylpenicillin und Ampicillin, aber auch Reserveantibiotika wie Cotrimoxazol und Cefaclor. Das Abweichen von der Standardtherapie durch die Nutzung eines anderen verfügbaren (Reserve-)Antibiotikums kann die Gefahr von Resistenzbildungen erhöhen.

Diverse Fachgesellschaften haben im Zuge der Lieferengpässe erneut einen bewussten und gezielten Einsatz von (Reserve)-Antibiotika gefordert. "Das kritische Hinterfragen jeder Antibiotikaverordnung und ein rationaler, leitlinienkonformer Einsatz von Reserveantibiotika sind weiter angezeigt", so Schröder.

Damit in Deutschland auch weiterhin ein Versorgungsengpass bei Antibiotika vermieden werden könne, müsse der Gesetzgeber durch ein verpflichtendes Meldeverfahren von pharmazeutischen Herstellern, Großhändlern und Apotheken für eine lückenlose Transparenz über die komplette Lieferkette für Antibiotika und andere Arzneimittel sorgen.

Das WIdO weist anlässlich der aktuellen Auswertung darauf hin, dass neben einer zurückhaltenden Verordnung in der Human- und Tiermedizin auch Wirkstoffe mit neuen Wirkprinzipien benötigt werden, die in der Lage sind, die gegebenen Resistenzen zu überwinden.

Allerdings scheine der betriebswirtschaftliche Anreiz zu fehlen: "Die Pharmaindustrie fokussiert sich lieber auf Wirkstoffe, mit denen noch höhere Preise und noch höhere Umsätze erzielt werden können." Um hier gegenzusteuern, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2018 bis zu 500 Millionen Euro für zehn Jahre bereitgestellt, mit denen unter anderem die Entwicklung neuer Antibiotika unterstützt werden soll.

"Diese öffentliche Förderung wird hoffentlich helfen, innovative Arzneimittel an den Start zu bringen. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die öffentliche Hand bei diesen Wirkstoffen nicht doppelt zur Kasse gebeten wird - einmal für die Forschungsförderung und andererseits für die von der pharmazeutischen Industrie aufgerufenen hohen Preise", so Schröder.

Eine grundsätzlich öffentliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung, die auch in der Wissenschaft diskutiert werde, könnte einen Ausweg bieten. Die pharmazeutische Industrie könne dann im Rahmen von Lizenzierungsmodellen die Produktion und den Vertrieb übernehmen.

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